Was Datenschützer zur Gesundheitstelematik sagen

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Was Datenschützer zur Gesundheitstelematik sagen

Beitrag von PR »

https://www.aend.de/article/198867

Mehrere Datenschutzorganisationen haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisch zur Telematik-Infrastruktur (TI) geäußert. Insbesondere kritisieren sie das Fehlen eines datenschutzrechtlich Verantwortlichen im Sinne der Datenschutzgrundverordnung. „Solange das nicht geklärt ist, gehen Gesundheitsdaten in ein schwarzes Loch“, monieren die Verbände, zu denen auch die Freie Ärzteschaft (FÄ) gehört. Der änd dokumentiert die Stellungnahme im Folgenden im Originaltext:
Spahns Gesundheitsnetz als verantwortungsfreie Zone

Welches Unternehmen ist für die Telematik-Infrastruktur (TI) verantwortlich? Die gematik mbH? Solange das nicht geklärt ist, gehen Gesundheitsdaten in ein schwarzes Loch – das kann nicht sein. Zurzeit gibt es keinen datenschutzrechtlich Verantwortlichen für die Telematik-Infrastruktur der elektronischen Gesundheitskarte – so, wie es die Datenschutzgrundverordnung fordert. Mit der elektronischen Gesundheitskarte sollen hunderttausende Arzt-, Zahnarzt- und Therapeutenpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen im Gesundheitswesen vernetzt werden. Dazu dient die Telematik-Infrastruktur. An diesem Netzwerk, die mehrere Plattformen und Zonen umfasst, sind zahlreiche Unternehmen, Konsortien und Rechenzentren beteiligt. Unvorstellbare Mengen vertraulicher Patientendaten soll die TI nach ihrer Fertigstellung übermitteln, speichern, verarbeiten.

Über datenschutzrechtliche Vorgaben sahen die Konstrukteure des Netzwerks großzügig hinweg. Die Verarbeitung sensibler Daten in großem Umfang erforderte bereits nach dem Bundesdatenschutzgesetz eine „Vorabkontrolle“ durch die „verantwortliche Stelle“. Diese gab es jedoch nicht. Seit Inkrafttreten der europäischen Datenschutzgrundverordnung ist eine noch ausführlichere Datenschutzfolgenabschätzung (DSFA) vorgeschrieben, die die Risiken und möglichen Folgen für die persönlichen Rechte und Freiheiten der Betroffenen bewertet. Die TI wurde jedoch ohne jegliche datenschutzrechtliche Vorab-Prüfung ausgerollt und bereits als erste Anwendung der Versichertenstammdatenabgleich in Betrieb genommen.

„Wenn offensichtlich die datenschutzrechtlichen Bedingungen für die TI nicht erfüllt sind, müsste eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung verhängt werden (Art 58 DSGVO)“, meint Dr. Elke Steven von der Digitalen Gesellschaft e.V. „Die Datenschutzfolgenabschätzung muss von einem unabhängigen, interdisziplinären Team erstellt werden, das sich um den Schutz der Grundrechte der Betroffenen kümmert.“

Für Ärzte ergäben sich handfeste Probleme, bemerkt Dr. med. Silke Lüder, Stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Ärzteschaft e.V. „Wir sind ja gehalten, für unsere Praxen eine Datenschutzfolgenabschätzung zu machen. Nur: Wie sollen wir einschätzen, welchen Risiken Patientendaten ausgesetzt sind, wenn wir sie in die Telematik-Infrastruktur übermitteln? Dafür gibt es ja gerade keine Datenschutzfolgenabschätzung. Und angesichts der organisierten Verantwortungslosigkeit seitens der Betreiber können Ärzte nur zu dem Schluss kommen, ihre Praxen nicht anschließen zu lassen.“

Gesundheitsminister Spahn will nun mit der Brechstange alle grundsätzlichen Bedenken und Probleme aus dem Weg räumen. Mit dem vom Kabinett verabschiedeten „Digitale Versorgungs-Gesetz“, über das im Herbst das Parlament entscheiden muss, wird Wirtschaftsförderung auf Kosten der Versicherten betrieben. Auch daran ist Kritik notwendig.

In Bezug auf die Verantwortlichkeit für die TI fordern die Datenschutzorganisationen:

- Feststellung der datenschutzrechtlich verantwortlichen Stelle für die TI zwecks Benennung eines Datenschutzbeauftragten und Durchführung einer Datenschutzfolgenabschätzung

- Erstellung einer Datenschutzfolgenabschätzung für die TI und jede ihrer Anwendungen

- Der Bericht dieses Datenschutzbeauftragten sollte veröffentlicht werden

- Aufhebung von Sanktionen gegen Ärzte, die ihre Praxen aufgrund von Datenschutzbedenken nicht an die TI angeschlossen haben

- Klare Haftungsregelungen zur Entschädigung Betroffener, deren Daten aus der TI oder (unter Ausnutzung der TI) aus den angeschlossenen „Primärsystemen“ der Ärzte, Apotheken und Krankenhäusern entwendet wurden

- Solange die Voraussetzungen für einen rechtskonformen Betrieb nicht vorliegen, darf die TI nicht betrieben werden

Tätigkeitsbericht 2017 und 2018 zum Datenschutz – 27. Tätigkeitsbericht – des Bundesbeauftragten durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit: www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikation ... 17_18.html (S. 59)

Unterstützende Organisationen:

Die Aktion „Stoppt die e-Card“ www.stoppt-die-e-card.de ist ein breites Bündnis von mehr als 50 Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten und Ärzteverbänden. Die Bündnispartner sehen in der elektronischen Gesundheitskarte eine Gefahr für die ärztliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung der Bürger und für eine gute medizinische Versorgung. Das Bündnis ist seit 2007 aktiv.

Die Digitale Gesellschaft e.V. www.digitalegesellschaft.de ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt. Zum Erhalt und zur Fortentwicklung einer offenen digitalen Gesellschaft engagiert sich der Verein gegen den Rückbau von Freiheitsrechten im Netz und für die Realisierung digitaler Potentiale bei Wissenszugang, Transparenz, Partizipation und kreativer Entfaltung.

Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) www.freie-aerzteschaft.de ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

LabourNet Germany: www.labournet.de Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch

Der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. ist ein Zusammenschluss von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen, der sich für die Wahrung der Patientenrechte im Zeitalter der Digitalisierung einsetzt. Dazu analysieren wir die Risiken, die sich aus der elektronischen Gesundheitskarte in Verbindung mit der geplanten digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen (sog. „Telematikinfrastruktur“) sowie anderen Formen der Verarbeitung und Verwendung sensibler Patientendaten ergeben. Hieraus entwickeln wir Ansätze zur Minimierung dieser Risiken.

Die Datenschützer Rhein Main www.ddrm.de – eine lokale Gruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und Partner der Aktion: Stoppt die e-Card!. Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die unzulässige Videoüberwachung des öffentlichen Raums; die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Sozialdatenschutz, z. B. bei Job-Centern und die Überwachung durch Geheimdienste und andere staatliche Stellen.
Aus dem ÄND hierher kopiert mit Erlaubnis der Redaktion

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Re: Was Datenschützer zur Gesundheitstelematik sagen

Beitrag von Christianes Herz »

Eine gute Zusammenfassung, ich würde mir wünschen, weil es ja nun wirklich alle betrifft, dergleichen würde tatsächlich öffentlich gemacht.
Bei dieser Gelegenheit: Neulich habe ich im Autoradio, da ging es um das Online-Banking und die EU-Richtlinie https://www.weser-kurier.de/bremen/brem ... 39568.html
bei einem Interview den Satz mitbekommen: "... es soll ja noch Leute geben, die haben gar kein Smartphone ...". Und der Interviewte wurde (gehört) ganz rot im Gesicht und sein Redefluss geriet ins Stocken. Aber, wie gehört, es gibt noch welche ... :wink:

Grüße
Christiane
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Jahaa, das Schmachtfon - ich hab auch keins.

Beitrag von PR »

Rot werd ich darob nie und nimmer.

Hab nebenan, einen TAB weiter ;-), https://www.aend.de/forum/topic/100649#926634
mal was über die "elektronische Karteikarte" (für Patienten) geschrieben.

Ja klar ist die klasse und hat viele viele Vorteile für den, der sie schreibt, und für den, der sie u.U. lesen und verstehen muss, und, jahaa, für die Patientinnenundpatientenindiesemunserem Lande natürlich auch. So, wie es natürlich Vorteile hat, wenn alle Ärztinnenundärzteindiesemunseremlande, die mit denselben Patienti.... beschäftigt sind, möglichst viel, möglichst sicher und möglichst zuverlässig miteinander kommunizieren.

Schad, dass da erst so ein Allmachtszappelspähnchen daher kommen muss.

PR
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Re: Was Datenschützer zur Gesundheitstelematik sagen

Beitrag von Dr.med.Holger Fischer »

Hallo PR,
"Schade, dass sich „die Ärzte“ die informationelle Vernetzung untereinander derzeit in so schändlicher Weise aus der Hand nehmen lassen. "-´habe es natürlich gelesen wie überhaupt alles, was Sie so hier schreiben. Leider habe ich von Berufspolitik und den damit zusammenhängenden Dingen keine Ahnung.
Nebenbei: Ihr Beitrag konnte nur aufgerufen werden durch Registrierung im Ärztenachrichtendienst.
Grüße Dr. Fischer
Unter Bezugnahme auf § 7 (3) der Berufsordnung für Ärzte ist mein Beitrag eine Stellungnahme,die auf den vorliegenden Angaben beruht .Sie ersetzt aber nicht die persönliche Beratung, Untersuchung und Behandlung durch Ihren Arzt.
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ÄND

Beitrag von PR »

Solli Herr Fischer, als Arzt k o n n t e n Sie sich ja beim ÄND einloggen. Weil das hier nicht alle können, wenigstens nicht offiziell ;-), hatt ich den ÄND-Beitrag ja extra hierher kopiert.

Nu zum Verzelle:

92 nach der Niederlassung hatt ich noch mit den Pappkarteikarten des Vorgängers gearbeitet, da waren noch welche von s e i n e r Vorgängerin drunter. Wenigstens hatten beide vernünftige Handschriften und ein vernünftiges System zur Befundbeschreibung.

Da ich selber nie eine vernünftige Handschrift hatte, hab ich 93 auf EDV umgestellt. Sehr flott konnte ich dann alle Befundberichte halb-, und nach Umstellung auf WIN und WORD quasi vollautomatisch aus der digitalen Karteikarte erstellen, denn praktisch aller dazu notwendige Text stand ja schon da. Geschrieben mit vorgefertigten Textmasken zu allen möglichen Konsultationsanlässen und mit Textmakros. Das war so flott, dass der Karteikarteneintrag mit Ende Ankleiden der Patientin fertig war, und der Befundbericht dann Sache von zwei Klicks. Alle meine "Zuweiser" und alle "Folgebehandler" meiner Patientinnen fanden das wunderbar und sagen mir das heute noch. Ich hab wiederholt im Kreisverein und im Ärztenetz drüber referiert, um Mitmacher zu finden, aber das hat kein Borstentier interessiert. "Jahaa Du als Gynnie, aber m e i n Fach ist so kompliziert, das kann man nicht in Briefmasken fassen..." war der gängige Kommentar. Einzig "mein" PVS-Haus hat kapiert. Denen hab ich das ganze Brieferstellsystem mit allen Textbausteinen einfach geschenkt, dafür haben die mir die Datenbankkonversion nach der WIN-Umstellung kostenlos gemacht. Seitdem bieten die ein GYN-MODUL an.

So, und das ist jetzt genau der Vorwurf, den ich meinen lieben Kollegen heut mach. Ihr habt doch alle gewusst, dass "Vernetzung" die Medizin ein bisschen besser machen kann. Die EDV-Werkzeuge dazu habt Ihr ja längst, und die hochsicheren Punkt-zu-Punkt-Verbindungen auch (schlichteste Solche ist der gedruckte Brief in der Hand des Patienten) . Aber Ihr habt sie nicht genutzt.

Das kann und soll alles die im Rahmen der "Telematik" geplante Daten-Enteignung durch Arvato und Konsorten Zappelspähnchen nicht entschuldigen. Das bleibt alles schändlich. Aber um so mehr, als dees älles oifach et needig gwä wär, hätten bloß alle meine lieben Kollegen rechtzeitig kapiert und ihre Hausaufgaben gemacht.

PR
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Re: Was Datenschützer zur Gesundheitstelematik sagen

Beitrag von Dr.med.Holger Fischer »

Hallo lieber PR,
aber beim Anklicken des Links kommt man ohne Registrierung nicht weiter, jedenfalls ging es mir so. Ich denke, dass der Link hier einige Leser durchaus interessiert. Vielleicht überprüfen Sie das Ganze ,ob es klappt.
Grüße Dr. Fischer
Unter Bezugnahme auf § 7 (3) der Berufsordnung für Ärzte ist mein Beitrag eine Stellungnahme,die auf den vorliegenden Angaben beruht .Sie ersetzt aber nicht die persönliche Beratung, Untersuchung und Behandlung durch Ihren Arzt.
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Der ÄND ist ein (fast) geschlossenes Forum für Ärzte,

Beitrag von PR »

lieber Kollege Fischer. Da s o l l außer Ärzten ansich niemand mitschreiben (oder alles lesen) können. Die Registrierung dort (als Premium-Mitglied) kostet jedenfalls mich jedes Jahr ein bisschen Geld. Ich weiß, dass da so ist, es gibt also nichts zu überprüfen. Den ÄND-Text, auf den der link verweist, hatte ich deshalb (mit Einverständnis der ÄND-Redaktion und von Frau Kollegin Lüder) ins DMF kopiert, damit ihn auch jeder auch ohne weitere Registrierung lesen kann. Mir fällt wiederholt auf, dass Sie Bildschirmseiten offenbar nicht komplett sehen können. Jedenfalls in meiner Bildschirmdarstellung steht der Text der Datenschützer im DMF grau unterlegt hinter einem dicken Anführungszeichen. Ist das bei Ihnen nicht so ? Ein Tipp: drücken Sie (ggf. ein paarmal) STRG-Minuszeichen.

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