Hallo in Rage, hallo Forum,
jetzt will ich aber doch mal widersprechen, inRage, denn ich denke, Deine Handlungsvorschläge sind zu sehr „schwarz/weiß“ !
Zitat:
So leid es mir in meinen Diensten tut: JEDER alkoholintoxikierte ist potentiell vital gefährdet (ob dann ein Fall für die Psychiatrie, sei dahingestellt).
Du schreibst dazu noch, dass jeglicher Alkoholgenuß eine Vergiftung bedeutet.
Ich denke, um klarer diskutieren zu können, müssen wir uns erst mal einigen, was eine „Alkoholintoxikation“ eigentlich ist. Daher erst mal die Definition:
Zitat:
Ausprägung der Alkoholintoxikation.
• Leichte Intoxikation (meist BAK 0,5–1,5‰ ) Gang- und Standunsicherheit, verwasche-
ne Sprache,Verminderung der Kritikfähigkeit und Selbstkontrolle,meist gesteigerter An-
trieb (z.B. Rededrang, vermehrte soziale Kontaktaufnahme bis zu Distanzminderung),
selten Antriebsminderung; die Fahrtauglichkeit ist meist deutlich vermindert.
• Mittelgradige Intoxikation (meist BAK 1,5–2,5‰ ): Zunahme der psychischen und
neurologischen Auffälligkeiten, wie zunehmende affektive Enthemmungen und unan-
gemessenes Sexualverhalten, gehobener Affekt bis hin zur Euphorie, aber auch Gereizt-
heit und Aggressivität im häufigen Wechsel. Das Urteilsvermögen ist zunehmend beein-
trächtigt. Ablenkbarkeit oder Benommenheit können hinzutreten, die Orientierung ist
meist erhalten.
• Schwere Intoxikation (meist BAK 2,5–4‰ ): weitere Zunahme der neurologischen
Symptome, Dysarthrie, Schwindel und Ataxie treten in den Vordergrund, Bewusstseins-
und Orientierungsstörungen sind häufig.Angst, Erregung und illusionäre Verkennungen
können zusätzlich auftreten.
• Alkoholisches Koma: Bei sehr schweren Intoxikationen mit einer BAK über 4‰
kommt es z.B. durch eine Dämpfung des Atemzentrums oder Aspiration von Erbroche-
nem häufig zu einer vitalen Bedrohung.
(BAK – Blutalkoholkonzentration)
Meines Erachtens ist es nicht sinnvoll, jeden Alkoholisierten in die Klinik zu schleifen. Klar, rechtlich ist man vordergründig gesehen dann aus dem Schneider, was Vielen erst mal das Wichtigste zu sein scheint. Aber Vorsicht von wegen rechtlich – ist der Patient einsichts- und einwilligungsfähig (und das sind viele Alkoholisierte trotzdem !), dann darfst Du ihn gar nicht mitnehmen, wenn er nicht will. Einziger Weg wäre dann die „Zwangseinweisung“, für die Du aber dem Richter gute Gründe nennen musst. Nur zu sagen, er
könnte ja mehr getrunken haben, zuhause dadurch bewusstlos werden und aspirieren wird meines Erachtens ein Richter nicht unbedingt akzeptieren.
Und man muß doch auch mal die Konsequenzen bedenken... Zu sagen, die Kosten sind dann
ein Problem der Politik oder Krankenkassen ist schön einfach. Ich denke, wir haben da draussen (zumindest als Arzt) schon auch die Verpflichtung, uns Gedanken über die Kosten zu machen. Das soll nicht heißen, Patienten aus Kostengründen nicht adäquat zu behandeln, aber über das „was ist adäquat“ kann man schon nachdenken und je nach Zustand des Patienten Alternativen zu einer teuren stationären Behandlung erwägen.
Abgesehen von den Kosten kommt es bei aggressiv-enthemmten Alkoholisierten ja auch oft zu Handgreiflichkeiten, die für alle Beteiligten und Mitpatienten sehr gefährlich werden können. Habe selbst schon erlebt, wie ein Kollege von einem Betrunkenen (5 min vorher vom RTW gebracht) durch die ganze Klinik gejagt wurde (Kollege ist zum Glück Marathon-Läufer...*grins). Ein weiterer Alkoholisierter ist aus der Notaufnahme abgehauen und hat in der Bettenzentrale ein Bett in Brand gesteckt (absichtlich aus Wut). Und auch ich mußte mich schon mit 2 Intensivschwestern im Arztzimmer einschließen und die Grünen holen, während vor der Tür der Alkoholisierte tobte...und vor Eintreffen der Grünen unser gesamtes Untersuchungszimmer zusammenschlug, dann mit unserem besten Laryngoskop entfleuchte.
Natürlich muß eine Alkoholintoxikation immer dann ins Krankenhaus gebracht werden, wenn die kontinuierliche Überwachung des Patienten auf einer Intensivstation notwendig ist, da die Patienten durch Ausfall der Schutzreflexe und die mögliche Stoffwechselentgleisung (u.a. schwere Elektrolytstörungen) vital gefährdet sind.
Alkoholintoxikationen in die Psychiatrie zu bringen, halte ich für sinnlos, da normalerweise jede Therapiemotivation fehlt und der Patient nach Hause

gehen darf, sobald er wieder einsichtsfähig ist.
Wenn aber ein Patient eine leichte Alkoholintoxikation hat (er wird natürlich von mir untersucht, nach Vorerkrankungen befragt + Blutzucker), halte ich Krankenhaus nicht für gerechtfertigt. Nur wenn er durch Fremd- oder Eigengefährdung auffällt geht er in die Ausnüchterungszelle mit der Auflage an die Polizei, alle 30 oder 60 min zu prüfen, ob er weckbar ist. Wenn er einfach nur betrunken, aber zeitl., örtl. und zur Person orientiert sowie einsichtsfähig ist, geht er nach Hause oder wohin er will. Hat er mehr getrunken, als er sagt und fällt dann zu Hause in die Bewusstlosigkeit, dann sehe ich das nicht als mein Problem. Klingt knallhart, aber eine gewisse Verantwortung hat der Patient für seinen Rausch schon noch selbst. Ich kann nicht jeden einsichtsfähigen Alkoholisierten in den RTW packen, nur weil er ja vielleicht, vielleicht mehr getrunken hat, als er mir sagt.
Bei uns ist die Polizei dann auch so nett, die einsichtsfähigen Alkoholisierten heimzufahren –nicht ganz uneigennützig, denn sonst legt er sich zum schlafen gleich wieder auf die nächste Bank und nach 5 min ruft einer an „da liegt einer“.
Beneidenswert sind natürlich die Großstädte mit „Ausnüchterungsstationen“ außerhalb der Krankenhäuser. Dort werden die Betrunkenen regelmäßig überwacht und es ist ein Arzt für Notfälle anwesend. Das ist die sicherste und kostengünstigste Alternative und entlastet die Kliniken. Hier läge sicher ein Ansatz auch für Politik und Krankenkassen, Kosten zu sparen.
In diesem Sinne grüßt doc-in-not
