Hilfe zur Selbsthilfe... oder wie???

Konzept der Anregung und Förderung individueller Lernprozesse bei Patienten mit Störungen der Wahrnehmung, Bewegung und/oder Kommunikation

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Bettina
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Hilfe zur Selbsthilfe... oder wie???

Beitrag von Bettina »

Hallo an alle da draußen im www und besonders im "Basale-Forum",

mir ist erst wieder letzte Woche aufgefallen, wieviel unsere Patienten/Bewohner, die wir betreuen und pflegen selbst machen können. Pflegende jammern ja oft und gerne (*Asche auf mein Haupt, aber den Anschein hat es manchmal... mich eingeschlossen) vor allem über zuviel Arbeitsbelastung, über Rückenschmerzen, darüber als "Dienstboten" missbraucht zu werden. (sollte ich mich jetzt täuschen, bitte schreibt es mir :-))
Aber ist es nicht oft so, dass den Leuten jegliches Recht auf Autonomie abgesprochen wird?
Als konkretes Beispiel fällt mir ein alter Herr (87 Jahre alt) ein, der zu uns zur Reha kam... "Der ist völlig durcheinander gewesen, als ich ihn heute morgen gewaschen habe" war meine Aussage am ersten Tag nach dem "Frei"... ich kannte ihn nicht, hatte noch keine Anamnese (er war erst einen Tag bei uns) und müde war ich auch, also Standard "WaschIII" überwiegende Waschhilfe am Waschbecken... zudem war der Herr noch sehr schwerhörig dazu, dass es sehr anstrengend war, mit ihm zu kommunizieren.
Alles was er sagte war, dass er über starke Schmerzen in beiden Handgelenken jammerte... ständig... aktivierte Arthrose war die "Ferndiagnose" unseres Stationsarztes...
Der Mann meinte, dass er wohl heute noch stirbt und er will jetzt sofort seine Tochter anrufen... was wir getan haben. Die Tochter klärte mich auf, dass sich ihr Vater unter der Wochen noch nieee mehr als Gesicht und Hände gewaschen hat, am Wochenende gebadet hat und außerdem Gicht hätte...
Nach ein paar Tabletten "was auch immer"gegen Gicht, einer ausfühlrichen Anamnese gemeinsam mit dem Herrn und seiner Tochter sind wir noch auf sehr viel mehr gekommen, was halt nicht unbedingt in den "normalen" Stationsablauf gepasst hat... aber als er Autonomie erfahren hat, indem wir ihn nicht mehr dazu gezwungen haben, sich unbedingt jeden Tag zu waschen war er plötzlich auch nicht mehr durcheinander... wir haben "Zeitersparnis", die wir nutzen können, um langsam und deutlich mit ihm zu sprechen, so war auch die Kommunikation kein Problem mehr...

Ich frage mich, wie oft solche Dinge passieren... warum das passiert... welhalb wir kein Vertrauen zu Menschen haben, die doch vor dem Krankenhausaufenthalt ihr Leben alleine gemeistert haben und die nach dem Krankenhausaufenthalt ihr Leben wieder alleine meistern müssen...

Was passiert hier?... sind wir Pflegekräfte schon viel zu sehr Standards, Pflegemaßnahmen, PPR und Ähnlichem hörig, dass wir uns nicht mehr trauen, uns auf unseren Bauch und unser normales Menschenverständnis zu verlassen?

Und warum um Himmels Willen gibt's hier im Forum keine Fallbeispiele mehr, keine Fragen mehr zur Basalen Stimulation sondern meistens nur noch Fragen zu Statistiken und Facharbeiten...

Auf jeden Fall bin ich schon sehr gespannt, ob ich Antworten auf meine Fragen bekomme.

Seid ganz herzlich gegrüßt aus dem sonnigen, aber windig-kalten Mittelfranken

Bettina
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Bettina
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Beitrag von Bettina »

... gut, nachdem meine Fragen zwar 74 Mal angeklickt wurden, aber niemand geantwortet hat... gehe ich davon aus, dass es das Problem mit der Eigenverantwortung in anderen Häusern einfach nicht gibt, sondern dass das ganz spezifisch und nur in unserer Klinik und auf meiner Station passiert... ODER ich habe zuviel drumherumgeschrieben, deshalb versuche ich einfach nochmal meine Fragen ohne viel drumherum zu stellen:

Wie ist das in euren Häusern mit der Autonomie der Patienten/Bewohner? Dürfen sie selbst entscheiden, wieviel, und ob sie sich waschen wollen, oder nicht?

Langt ihr gleich hin, nach dem Motto, das mach ich schon, oder dürfen sich die Leute auch gerne mal plagen (z.B. beim Strümpfe anziehen)

Glaubt ihr daran, wenn euch der Patient sagt, "ich fall nicht aus dem Bett" oder macht ihr automatisch Bettgitter ran (zur Sicherheit)?

Wieviel Autonomie hat ein Mensch noch, wenn er in eine Klinik/Pflegeheim kommt?

Liebe Grüße

Bettina
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Peter Estner
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Beitrag von Peter Estner »

Liebe Bettina,
da hast Du aber auch wirklich ein schwieriges Thema rausgesucht. Manchmal gelingt es mir, Patienten/innen selbstbestimmen zu lassen, manchmal wieder nicht. Deshalb denke ich, ist es nicht so leicht spontan darauf zu antworten. Die größten Schwierigkeiten habe ich beispielsweise bei der Mobilisation. Das Waschen kann ich ganz gut dem Patienten überlassen, das mit der Mobilisation ist oft schwieriger zu entscheiden.
Schon nach kurzer Bettlägrigkeit sind Patient/Innen nicht motiviert aufzustehen, beisp. an die Bettkante. Hier brauche ich schon Zeit, ausreichend zu informieren und darauf zu warten, das Einverständnis zu bekommen. Was aber wenn ich es trotzdem nicht bekomme?
Da fällt mir im Augenblick eine Patientin ein, ich habe sie unbedingt mobilisieren wollen. Es war zudem auch angeordnet. Sie wollte selbst nicht, lange Liegezeit wegen nekrot. Fasziitis und Polyneuropatie, Schmerzproblematik. Außerdem hatte sie einen Dekubitus entwickelt, noch sehr klein. - Trotzdem war es wichtig geworden, sie zu mobilisieren..... Sie wollte aber nicht!
Mit klarer Absprache, Zeitplan usw. einhalten, konnten wir uns darauf einigen, dass sie sich in die Thekla (Mobilisierungsstuhl) sitzt. - Bis heute habe ich aber dennoch ein schlechtes Gewissen, denn es war aus pflegerischer Sicht, was den Dekubitus und ihre Wunde anging, nicht so in Ordnung. - Deshalb handelte ich tagsdrauf gegen die Anordnung des Mobilisierens und kam dem Wunsch der Patientin nach. ....
Irgendwie dreht sich alles im Kreis und die Patientin kommt nicht voran. Jetzt wäre die Frage, was soll man/frau da tun?
Es gibt aber auch Situationen, wo es richtig Spass macht, PatientInnen Autonomie und Verantwortung zu geben. Ein Patient fällt mir ein, er war unruhig, konnte sich aber nicht richtig mitteilen. Jeder dachte auch er sei "durchgängig" usw., teilweise wurde er auch fixiert, um sich nicht die Zugänge zu ziehen. Nach einiger Zeit Beziehungsaufbau lernte ich ihn besser einschätzen und dachte mir, vielleicht drückt ihn das Natürlichste aller Natürlichkeiten und holte den Toillettenstuhl. Siehe da, er konnte ihn gut gebrauchen, denn es war ihm sichtlich unangenehm, sein "Geschäft" im Bett und noch dazu in eine Windel zu verrichten.
Manchmal ist es nicht unser Unverständnis, sondern unsere "Bequemlichkeit". Andererseits ist es das Selbstverständlichste auf der Welt, anderen ihre Autonomie und anders ausgedrückt, ihre Würde zu lassen. Hat dies aber auch etwas mit Macht zu tun, oder Ohnmacht.
Wünsche mir zum Schluss auch, dass es noch zu einer interessanten Diskussion kommt. Danke Bettina, das Du unverwüstlich bleibst und immer wieder Anregungen für das Forum hast, was wäre das Forum ohne Dich.
Viele Grüße
Peter
Bettina
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Beitrag von Bettina »

Hallo Peter,

danke für die Blumen... und für deine Gedanken zur Autonomie der Menschen in unseren Kliniken und Heimen :D

Ich hatte die letzen zwei Tage (bzw. Nächte) Nachtdienst und hab auch wieder, als ich auf der Nachbarstation beim "Lagern" mitgeholfen habe, erlebt, wie Menschen völlig passiv "gemacht" werden... es wird bestimmt, wie sie zu liegen haben, ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst zu entscheiden, auf welche Seite sie sich legen wollen, ihnen wird die Möglichkeit genommen, sich selbst zu bewegen... sie werden bewegt... und das war eine Kollegin, die ich sehr gerne mag, die ein großes fachliches Wissen hat und die ich auch sehr schätze... nur auf eine Diskussion mit mir ließ sie sich in dem Moment nicht ein... "ich weck doch die Leute nicht auf... ruckzuck, dann können sie weiterschlafen"... tja, auch ein Argument... und die persönliche Autonomie meiner Kollegin...

Wie geht ihr in solchen Fällen mit Kollegen um? Sprecht ihr darüber?... ist das Autonomie und Verantwortung der Kollegen?...

Und wie ist es mit eurer eigenen Autonomie... Grenzen setzen... bis hierhin und nicht weiter... macht ihr das?

lg

Bettina (die sich schon sehr auf Basel freut :-))
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Kusi
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Beitrag von Kusi »

Hallo Bettina,

ich denke es liegt am System der Versorgung. Versorgung meine ich nicht die Mitarbeiter und Kollegen sondern die Strukturen in den Einrichtungen.

Klassifikationen ergeben sich zwangsläufig, Krankenhäuser sind mit Einrichtungen der Altenhilfe nicht vergleichbar.

Ich selber aus der KP arbeite im AP Bereich. Leider, so habe ich es erst später gemerkt steht im KH oftmals der Patient der Erkrankung im Weg. Jüngere, Mobile Patienten äußeren Ihre Bedürfnisse, lassen sich vllt. auch leichter pflegen, Ältere sind Fremd, sagen nicht das was Ihnen paßt. Passen sich an und wollen keinem zur Last fallen.

Was zählt der Mensch, wo Erkrankungen und Abrechnung im Vordergurnd stehen ?

Oft wird es mit Personalproblemen weg diskutiert, nur ist es richtig ?

Viele Probleme entstehen in unseren Köpfen. Dauert langern Länger bei schlafenden als bei wachen Patienten ? Ich denke Nein.

Das System ist auslöser, und jeder einzelne auch.

Es ist ein gesamt Prozess, wir erleben oft die Soziale Deprivation, unsere Bew. müssen ins KH und kommen zurück nach einer Woche und rufen ständig Hallo, Hallo Schwester...!?

Die Einstellung zur Dinestleistung, und jeder in der Pflege bietet eine Dienstleistung an, sollte sich im klaren sein, der jenige der Hilfe braucht, BEZAHLT meinen Arbeitsplatz, die Träger ( KH / AP ) verwalten die Gelder.

Es ist schwierig pauschal zu Antworten.

Kusi
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Lernen ist eine Tätigkeit, bei der man das Ziel nie erreicht und zugleich immer fürchten muss, das schon Erreichte wieder zu verlieren.
Bettina
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Beitrag von Bettina »

Hallo Kusi,

vielen Dank für deine Antwort und deine Gedanken zu meiner Frage...
ich denke es liegt am System der Versorgung. Versorgung meine ich nicht die Mitarbeiter und Kollegen sondern die Strukturen in den Einrichtungen.
Hat die Autonomie eines Menschen... jetzt mal egal, ob Patient/Bewohner oder meine eigene als Pflegekraft wirklich etwas mit der Struktur in der Einrichtung zu tun? Hat das nicht auch etwas mit dem "Mut", mit dem ich pflege und mit dem Vertrauen, das ich in die Menschen, die ich pflege zu tun?


Viele Probleme entstehen in unseren Köpfen. Dauert langern Länger bei schlafenden als bei wachen Patienten ? Ich denke Nein.
... und als ich darüber gerade nachgedacht habe, ist mir der Gedanke gekommen, ob ich wirklich nachts aufgeweckt werden wollte zum "Lagern" wahrscheinlich wäre ich nicht sehr amüsant für die Pflegekräfte, die mich nachts wecken würden... auf der anderen Seite bin ich jemand, der sich für's Positionieren recht lange Zeit nimmt und die Leute viel selbst machen lässt... richtig oder falsch... kann wohl auch nicht wirklich pauschal geklärt werden... wie ist der Rythmus des Einzelnen? Wobei ich wieder beim Gedanken Autonomie des Menschen bin, der in unseren "Einrichtungen" liegt, leidet, gepflegt wird und lebt...
Was zählt der Mensch, wo Erkrankungen und Abrechnung im Vordergurnd stehen ?

Oft wird es mit Personalproblemen weg diskutiert, nur ist es richtig ?
Was zählt der Mensch??? Wir hatten ein KTQ Audit in unserer Klinik, für die Leute zählten nur die Statistiken und ob es für alles ein Formular gibt... wir haben jetzt ganz viele tolle Formulare, die wir auch ausfüllen... da hab ich halt weniger Zeit für den Menschen... bin ich autonom genug, pfeif ich auf die lästigen Dinger, fülle sie eben etwas schneller aus und tue doch das, was ich viel lieber mache, nämlich mich um die Menschen kümmern, die mir anvertraut sind... hab ich aber einen schlechten Tag, bin ich auch autonom und vergrabe mich in den Formularen und Dokumentantionen und bin halt weniger in den Zimmern... immer meine individuelle Autonomie...


Da könnten wir jetzt richtig philosophisch werden und fragen: "Was ist richtig, was ist falsch" *g*

Ich freu mich über eine rege Diskussion... und würde mich über noch mehr Antworten freuen, denn pauschalisieren kann man das Thema Autonomie der Menschen und auch Eigenverantwortung nicht ...

Was mir immer wieder auffällt ist, dass sich die Leute noch nicht einmal selbst die Hose ausziehen trauen, wenn sie auf die Toilette müssen, weil sie Angst haben, es geht uns zu langsam oder sie könnten etwas falsch machen...

ganz liebe Grüße

Bettina
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Kusi
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Beitrag von Kusi »

Hallo Bettina,

Autonomie was heißt dieses ?

In der idealistischen Philosophie wird die Willensfreiheit als „Autonomie“ bezeichnet.

Gemeint ist die Fähigkeit des Menschen, sich als Wesen der Freiheit zu begreifen und aus dieser Freiheit zu handeln. Weil ein Tun der Freiheit zugleich Vertun anderer Chancen ist, Handeln aus Freiheit immer auch ein Setzen von Grenzen (Abgrenzung gegen nicht realisierte Möglichkeiten) darstellt, heißt Freiheit Autonomie: Selbstgesetzgebung.

Ist Autonomie heute im Zeitalter der Standards noch nach Pflegewissenschaftlichen Erkentnissen zeitgemäß ?

Qualität ist eine Begriff der die Zufriedenheit und einheitliche Reihenfolge als Resümee wiedergeben soll.

Heißt Qualität auch um halb Sechs gewaschen zu werden ? Fast jedes KH hat ein QM nach Iso Zert. und weiß ich nicht . TQM und EFQM sind Instrumente die eine Autonomie außeracht lassen.

In der Industrie mag dieses ein Sinn ergeben. In der Pflege wo Individuelle Menschen ob Gesund oder Krank, Behindert oder Alt leben, kann ich doch nicht alles vergessen, um Ganzheitlich zu pflegen.

Was bedeutet Pflege heute ?

Standards, Formulare, Verfahrensanweisung, Richtlinien... und wo bleibt der Mensch ??

Qualität heißt für mich 1. der Mensch , 2. seine Bedürfnisse, 3. seine Wünsche.

In dieser Form ist Qualität und auch die Pflege messbar.. in der Zufriedenheit des jenigen.. Ohne Formulare und Richtlinien.

Ich ( persönlich ) würde jedem etwas erzählen, sollte es nicht so laufen wie ich es möchte, es sei ich bin dement und bekomme es nicht mit.

Dann muss ich mir auch keine Gedanken mehr darüber machen. "Ironie"

Anpassen ist einfacher als verändern.

Lernen ist eine Tätigkeit, bei der man das Ziel nie erreicht und zugleich immer fürchten muss, das schon Erreichte wieder zu verlieren.

Kusi
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Bettina
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Beitrag von Bettina »

Lernen ist eine Tätigkeit, bei der man das Ziel nie erreicht und zugleich immer fürchten muss, das schon Erreichte wieder zu verlieren.
Menno... warum kann ich nicht solche tollen Sätze formulieren :-(

Hi Kusi,

Autonomie fängt meines Erachtens ja schon bei ganz kleinen Dingen an, nämlich schon bei Fragen ob der Mensch Pfefferminz- oder Kamillentee oder sonstwelchen Tee haben möchte... oder dass er wählen darf zwischen diesen dusseligen Schnabelbecher (wobei ich da immer sehr schnell Grenzen setze *asche auf mein haupt* ) oder einer Tasse... ja, oder mir fällt ein Beispiel ein, das heute auf meiner Station passiert ist...

Wir rehabilitieren momentan eine Frau, die an Depressionen leidet, COPD, ungefähr zwei Millionen andere Krankheiten noch hat und die momentan zwar unglaublich Hunger hat, aber nix Essen kann, weil alles nach "Diät" richt und schmeckt... tja, ist sie jetzt völlig durchgeknallt???? ... als ich ihr heute eine Zitronenlimo, auf die sie Appetit hatte geholt habe und ihr dann auch noch Salz für die Suppe gegeben habe, bekam ich Probleme mit einem jungen Kollegen, denn das Limo hat Zucker enthalten und die Frau ist Diabetikerin und ihre Nierenwerte sind nicht die Besten, also auch keine drei Körner Salz... schwierige Diskussion, denn er hatte vom Medizinischen völlig Recht... aber wo war sie denn jetzt, die individuelle Pflege und die Autonomie der Frau?
Ist Autonomie heute im Zeitalter der Standards noch nach Pflegewissenschaftlichen Erkentnissen zeitgemäß ?
Ich glaube gerade die pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse können uns helfen, die Autonomie (Selbstbestimmung) der Menschen wieder zu fördern... gerade die Erkenntnisse und Studien, die mit dem Konzept der Basalen Stimulation zusammenhängen (das musste jetzt von mir kommen, sind schließlich im "Basale Forum" *g*)

Ist es nicht auch manchmal die Bequemlichkeit Pflegender (ohne pauschalisierend wirken zu wollen), die uns dazu treibt, "nach Standard" zu pflegen... woher weiß ich denn, dass Pat. A, Pat. B und Pat. C mit völlig verschiedenen Erkrankungen alle den WaschIII -standard brauchen, bloß weil A, B und C am Waschbecken gewaschen werden?... Nur wenn ich das tue, dann habe ich nach Standard gepflegt und bin abgesichert... also auch unser Sicherheitsdenken???

Und zum Thema Anpassung fällt mir jetzt auch ein Satz ein... nämlich meine Signatur

"Anpassung ist die Stärke der Schwachen"...

nur wer nicht angepasst ist, dem weht oft ein rauher Wind um die Nase und das kann manchmal ganz schön anstrengend sein.

liebe Grüße

Bettina
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Beitrag von Kusi »

Wir rehabilitieren momentan eine Frau, die an Depressionen leidet, COPD, ungefähr zwei Millionen andere Krankheiten noch hat und die momentan zwar unglaublich Hunger hat, aber nix Essen kann, weil alles nach "Diät" richt und schmeckt... tja, ist sie jetzt völlig durchgeknallt???? ... als ich ihr heute eine Zitronenlimo, auf die sie Appetit hatte geholt habe und ihr dann auch noch Salz für die Suppe gegeben habe, bekam ich Probleme mit einem jungen Kollegen, denn das Limo hat Zucker enthalten und die Frau ist Diabetikerin und ihre Nierenwerte sind nicht die Besten, also auch keine drei Körner Salz...
Hallo Bettina,

ich finde es gut, dieser Pat. eine Limo zu holen, was für Probleme können durch eine Limo auftreten ? Diabetisches Koma ? Entgleisung durch ein Glas Limo ? Warum hat Sie solch schlechte Nierenwerte, von der wenigen Flüssigkeit, dem Salz ?

Gut geschrieben, 3 Körner Salz...

Ich möchte diesen jungen Kollegen nicht schlecht machen, ich hätte versucht es an eigenen Bsp. deutlich zu machen.

Hält sich jeder von uns immer an die Richtlinien ?

Bsp : Tonsillektomie :
Innerhalb der ersten 2postop Wochen sollte auf jegliche Art von sauren, scharfen, harten und heißen Speisen verzichtet werden, da diese starke Schmerzen verursachen können.
Auch Fruchtsäuren sollten gemieden werden, besonders aggressiv sind Tomaten(!). Apfelmus und anderes Konservenobst ist im allgemeinen gut verträglich, auch geriebene Birne und Mango werden gut vertragen. Bei Getränken sollten kalte Getränke bevorzugt werden, kohlensäurehaltige Getränke können ebenfalls ein starkes Brennen an der Wunde verursachen. ....
....Duschen wird auch bis zu einer Woche nach der Operation nicht empfohlen. Es soll auch danach darauf geachtet werden, dass das Wasser nicht zu warm ist, um eventuelle Nachblutungen zu vermeiden, die durch den Bluthochdruck beim Duschen entstehen. Beim Zähneputzen sollte man darauf achten, dass keine Zahnpasta den Rachen hinabläuft, da dies durch den Mentholgehalt vieler Zahnpasten zu Schmerzen führen kann.... und so weiter..

Dieses sind alles Sachen die beachtet werden sollen, jedem wird gesagt mach dieses nicht lass das sein.. und ? Was tun wir wirklich !?!

Einer Frau die Limo verweigern, wegen dem Diabetes... In der Reha im Krankenhaus überall müssen sich alle Anpassen, doch passen sich die Pat. in ihrer häuslichen Umgebung dann auch an ? Nein.. Für mich als PK heißt es doch anpassen an die gewohnheiten der Pat. im Rahmen meiner möglichkeit..
„Handle so, dass jeder Zeit dein Handeln zur obersten persönlichen Lebensregel, persönlicher Grundsatz des Willens und Handelns verwendet wird.“
Kategorischer Imperativ Kants

Kusi
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